Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung und Insolvenz, Siehe Anlage

Rechtsanwältin Andrea Eichholz* , Bottrop, und
Rechtsanwalt Dr. Jens M. Schmittmann* , Essen
Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung und Insolvenz
1 Einleitung
Gemäß der Neuregelung von § 1 a Kündigungsschutzgesetz (KSchG1
) gilt ab 01. Januar 2004, dass
unter den im Einzelnen genannten Bedingungen kraft Gesetzes ein Abfindungsanspruch bei
betriebsbedingter Kündigung entsteht2
.
Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse und erhebt der Arbeitnehmer
bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 KSchG keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis
durch die Kündigung nicht aufgelöst ist („Kündigungsschutzklage“), hat der Arbeitnehmer mit Ablauf
der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung, § 1 a Abs. 1 KSchG.
Der Abfindungsanspruch des Arbeitnehmers setzt gemäß § 1 a Abs. 1 Satz 2 KSchG voraus, dass der
Arbeitgeber in der Kündigungserklärung darauf hingewiesen hat, dass die Kündigung auf dringende
betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die
Abfindung beanspruchen kann.
Hinsichtlich der Höhe der Abfindung orientiert der Gesetzgeber sich an der bislang üblichen Praxis, die
Höhe der Abfindung auf einen halben Monatsverdienst für jedes Jahr des Bestehens des
Arbeitsverhältnisses festzusetzen (§ 1 a Abs. 2 Satz 1 KSchG).
Probleme ergeben sich auf Grund dieser Neuregelung insbesondere dann, wenn die Kündigung, das
Ende des Arbeitsverhältnisses und die Entstehung des Abfindungsanspruchs in der Nähe der
Beantragung bzw. Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers liegt.
2 Arbeitsrechtliche Betrachtung
Arbeitsrechtlich kommt es im wesentlichen auf drei Zeitpunkte an:
2.1 Kündigungserklärung und Hinweis
Der Abfindungsanspruch setzt voraus, dass der Arbeitgeber bereits in der Kündigungserklärung

Die Verfasserin ist Rechtsanwältin und Justitiarin einer Unternehmensberatungsgesellschaft, die sich auch mit
insolvenznahen Sanierungen befasst.
*
Der Verfasser ist als Rechtsanwalt bei dem OLG Hamm und dem LG Essen zugelassen. Zudem verfügt er über
die Qualifikation als Fachanwalt für Steuerrecht und Steuerberater. Er ist derzeit Partner der Kanzlei Dr.
Schulz und Sozien, Rechtsanwälte Notare Fachanwälte Steuerberater, Essen, und befasst sich insbesondere mit
dem Recht der Neuen Medien sowie Wettbewerbsrecht. Außerdem ist wird er als Liquidator und
Insolvenzverwalter sowie als gerichtlich bestellter Sachverständiger und Treuhänder tätig. Er ist
Lehrbeauftragter an der Friedrich-Wilhelms-Universität Münster und an der FernUniversität Hagen.
1
Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003, BGBl. 2003 I, 3002. Vgl. dazu auch Grobys,
DB 2003, 2174ff.; Löwisch, NZA 2003, 689ff.; Meinel, DB 2003, 1438f.; Wolter, NZA 2003, 1068ff.; Bauer,
NZA 2003, 366ff.
2
Vgl. auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (181); Giesen/Besgen, NJW 2004, 185 ff.

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    belehrt. Bei dieser Belehrung handelt es sich nicht um eine gesetzliche Voraussetzung für die
    Wirksamkeit der Kündigung, sondern vielmehr um eine Option des Arbeitgebers, die er wahrnehmen
    kann, aber nicht wahrnehmen muss.
    Nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen von 24.
    Juni 2003 müssen die Arbeitnehmer und Arbeitgeber keine Einbußen bezüglich ihrer bisherigen
    Rechtspositionen befürchten, da dem Arbeitnehmer der kündigungsrechtliche Bestandsschutz auch bei
    betriebsbedingten Kündigungen erhalten bleibt. Insbesondere steht ihm nach wie vor das Recht zu, im
    Wege der Kündigungsschutzklage den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses gerichtlich geltend zu
    machen. Gleichermaßen ist der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet, bei betriebsbedingten
    Kündigungen stets eine Abfindung zu zahlen3
    .
    Nach der Begründung soll es nicht erforderlich sein, die Betriebsbedingtheit der Kündigung näher
    auszuführen und zu begründen. Es reicht vielmehr aus, dass der Arbeitgeber die Kündigung als
    betriebsbedingt bezeichnet4
    .
    Der Arbeitgeber ist in diesem Fall im Gegensatz zur personen- oder verhaltensbedingten Kündigung
    davon befreit, im einzelnen vorzutragen, welche Tatsachen die Kündigung rechtfertigen sollen. Dies ist
    zwar einerseits für den Arbeitgeber eine Erleichterung, andererseits aber kann es auch für den
    Arbeitnehmer im Hinblick auf Sperrzeiten bei der Bewilligung von Arbeitslosengeld sinnvoll sein, eine
    betriebsbedingte Kündigung zu akzeptieren, anstatt durch die Erörterung der Gründe einer personenoder
    verhaltensbedingten Kündigung gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III Sperrzeiten hinzunehmen.
    2.2 Klagefrist
    Durch das Gesetz zu Reformen am Arbeitsmarkt (sog. „Agenda 2010“) wird § 113 Abs. 2 InsO
    aufgehoben, da diese Regelung mit Änderung des § 4 KSchG überflüssig geworden ist. Die Klagefrist
    beträgt demnach gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 KSchG für alle Formen der arbeitgeberseitigen Kündigung
    drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung.
    Ist der Arbeitnehmer bei der Kündigung nicht auf die Abfindungsregelung gemäß § 1 a Abs. 1 KSchG
    hingewiesen worden, so ergeben sich keine Besonderheiten.
    Hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gemäß § 1 a Abs. 1 Satz 2 KSchG auf die Möglichkeit der
    Abfindung hingewiesen, so muss der Arbeitnehmer sich innerhalb der Drei-Wochen-Frist entscheiden,
    ob er das gesetzliche Abfindungsangebot annimmt oder nicht.
    Für den Arbeitnehmer stellt sich hierbei nicht nur die Frage, ob ein gegebenenfalls zu führender
    Kündigungsschutzprozess Aussicht auf Erfolg hat, sondern vielmehr auch die Frage, ob er durch die
    Anrufung des Arbeitsgerichts den Arbeitgeber veranlassen kann, ihm eine höhere Abfindung zu zahlen
    als vom Gesetz vorgesehen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die meisten
    Arbeitsgerichtsprozesse nicht zu einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers führen, sondern sich
    die Parteien auf die Zahlung einer Abfindung gegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einigen.
    Zudem kann der Arbeitnehmer im Regelfall nicht abschätzen, ob er den ihm kraft Gesetzes5
    bei
    Nichtanrufung des Arbeitsgerichts zustehenden Abfindungsanspruch in Geld auch tatsächlich

3
So Gesetzentwurf der Fraktion SPD und Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drucksache 15/1204, Seite 9.
4
So BT-Drucksache 15/1204, Seite 12.
5
Zum Teil wird vertreten, dass es sich um einen vertraglichen Anspruch handelt (so Preis, DB 2004, 70 (71)).
Dies überzeugt aber nicht, da der Arbeitnehmer gerade keine Willenserklärung abgeben muss, um den
Anspruch zu begründen, sondern es ausreicht, dass er die gesetzliche Klagefrist verstreichen lässt, so
Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182); Bader, NZA 2004, 65.

  • Seite 3 -
    realisieren kann6
    .
    Bereits vor Ausspruch der Kündigung durch den Arbeitgeber kommt dem Betriebsrat, sofern er
    besteht, eine besondere Bedeutung zu. Der Betriebsrat kann darauf hinwirken, dass bei einer vom
    Arbeitgeber beabsichtigten personen- oder verhaltensbedingten Kündigung statt dieser eine
    betriebsbedingte Kündigung unter Hinweis auf die gesetzliche Abfindungsmöglichkeit ausgesprochen
    wird, um dadurch den Arbeitnehmer zu veranlassen, keine Kündigungsschutzklage zu erheben. Der
    Vorteil für den Arbeitnehmer liegt dann darin, dass er keine Sperrzeit zu gegenwärtigen hat.
    2.3 Entstehung des Anspruchs
    Aus dem Gesetzeswortlaut ergibt sich nicht, wann der Abfindungsanspruch entsteht. Man könnte
    meinen, dass der Abfindungsanspruch bereits dann entsteht, wenn die im Gesetz vorgesehenen
    Voraussetzungen, nämlich die Kündigungserklärung mit Hinweis des Arbeitgebers und der Ablauf der
    Kündigungsfrist eingetreten sind. Demgegenüber geht aber der Gesetzesentwurf davon aus, dass der
    Abfindungsanspruch erst mit dem Ablauf der Kündigungsfrist entsteht7
    .
    Im Hinblick darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der an sich schützenswerte Arbeitnehmer
    erst mit Ablauf des Arbeitsverhältnisses den Anspruch auf die gesetzliche Abfindung erhält8
    , ist
    unverständlich, dass der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer das Liquiditätsrisiko, dass der Arbeitgeber
    am Ende der Kündigungsfrist auch tatsächlich in der Lage ist, den dann fällig werdenden
    Abfindungsanspruch auch zu zahlen, aufbürdet. Die sich ergebenden Konsequenzen im Falle eines
    zwischenzeitlich eintretenden Vermögensverfalls des Arbeitgebers werden im Folgenden näher
    erörtert.
    2.4 Exkurs: Tod des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist und vor Entstehung
    des Abfindungsanspruchs
    Stirbt der Arbeitnehmer nach Ende der Klagefrist, aber vor Entstehung des Abfindungsanspruchs, so
    geht auf die Erben des Arbeitnehmers nichts über. Der gesetzliche Abfindungsanspruch ist zu diesem
    Zeitpunkt noch nicht entstanden. Der Arbeitgeber schuldet den Erben daher nichts.
    Demgegenüber wäre ein vertraglicher Abfindungsanspruch9
    , selbst wenn er bei Tod des
    Arbeitnehmers noch nicht fällig ist, vom Arbeitgeber gegenüber den Erben des Arbeitnehmers zu
    befriedigen. Schon daraus lässt sich ersehen, dass der Gesetzgeber den Arbeitnehmern dadurch, dass
    der Anspruch erst mit Ende des Arbeitsverhältnisses entsteht und nicht bereits mit Ablauf der
    Klagefrist, einen schlechten Dienst erwiesen hat. Der Arbeitnehmer trägt somit nicht nur das Risiko,
    dass der Arbeitgeber nach Ablauf der Kündigungsfrist und vor Fälligkeit des Anspruchs
    zahlungsunfähig wird, was unter II. “Insolvenzrechtliche Betrachtung” noch im Einzelnen diskutiert
    wird, sondern auch das Risiko, dass im Falle seines Todes die möglicherweise notleidenden Erben
    nicht einmal in den Genuss des Abfindungsanspruchs kommen.
    Eine dem § 1 Abs. 1a KSchG vergleichbare Risikokonstellation zu Lasten des Arbeitnehmers findet sich
    für Abfindungsansprüche, welche aus Sozialplänen resultieren10.

6
So Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (182). 7
So BT-Drucksache 15/1204, Seite 9.
8
So auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (181). 9
Vgl. BAG, NZA 1998, 643.
10 So auch Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177 (181).

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    3 Insolvenzrechtliche Betrachtung
    Unter insolvenzrechtlichen Gesichtspunkten kann es ein erhebliches Risiko für den Arbeitnehmer
    darstellen, sich auf die gesetzliche Abfindungsregelung des neuen § 1 a Abs. 1 KSchG einzulassen.
    Dabei sind verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden, die nachstehend erörtert werden:
    3.1 Entstehung des Anspruchs
    Insolvenzrechtlich ist für den Arbeitnehmer für existentieller wirtschaftlicher Bedeutung, welcher
    Rangklasse der Anspruch auf die Abfindung zuzurechnen ist.
    3.1.1 Entstehung des Anspruchs vor Insolvenzantragstellung
    Endet die Beschäftigungszeit vor Insolvenzantragstellung über das Vermögen des Arbeitgebers,
    nachstehend auch Schuldner genannt, und wurde die Abfindungszahlung nicht vor Eröffnung des
    Insolvenzverfahrens bewirkt, so hat der Anspruch des Arbeitnehmers allenfalls die Rangklasse
    § 38 InsO, ist also eine einfache Insolvenzverbindlichkeit.
    Aber auch die Zahlung durch den Arbeitgeber ist für den Arbeitnehmer alles andere als risikolos, weil
    er sich möglicherweise Anfechtungsansprüchen des Insolvenzverwalters aussetzt. So kann der
    Insolvenzverwalter gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO Sicherungen oder Befriedigungen anfechten, wenn
    sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen
    worden sind, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger
    zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte. Hat beispielsweise der Arbeitnehmer durch
    rückständige Lohnzahlungen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit11, so wird einiges dafür sprechen, dass
    die Zahlung der Abfindung anfechtbar ist. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber (Schuldner) auch die
    Möglichkeit, den Zahlungsempfänger, also den Arbeitnehmer, vor der Zahlung bösgläubig zu machen,
    indem er ihm beispielsweise die eigene Zahlungsunfähigkeit mitteilt12.
    Stellt der Arbeitnehmer selbst den Insolvenzantrag gegen den (früheren) Arbeitgeber und zahlt dieser
    unter dem Druck des laufenden Insolvenzantragsverfahrens, so führt dies ebenfalls zu
    Anfechtungsansprüchen, falls später ein weiteres Insolvenzverfahren zur Eröffnung gelangt. Durch die
    eigene Insolvenzantragstellung hat der Arbeitnehmer nämlich dokumentiert, dass er den Arbeitgeber
    für zahlungsunfähig hält und demnach die Anfechtungsvoraussetzungen kannte. Insoweit liegt eine
    mit den Anträgen der Sozialversicherungsträger vergleichbare Konstellation vor, die – sofern sie zum
    Zwecke der Durchsetzung einer Einzelbefriedigung dienen13 – z.T. von den Gerichten als Nötigung
    qualifiziert worden ist14.

11 Vgl. zu den Kriterien der Zahlungsunfähigkeit: Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO-Kommentar, 12. Auflage 2003,
§ 17 Rn. 18; Schmittmann/Handtke, VR 2003, 335 (338).
12 Im Rahmen dieser Ausführung kann nicht geklärt werden, ob dadurch gegen die organschaftlichen Vertreter
der Schuldnerin persönliche Schadensersatzansprüche entstehen (z. B. aus vorsätzlicher sittenwidriger
Schädigung oder aus arglistiger Täuschung).
13 Vgl. LG Meiningen, ZIP 2000, 1450; AG Oldenburg, NZI 2002, 391; AG Duisburg, NZI 2002, 211.
14 So AG Hamburg, NZI 2002, 561; AG Hamburg ZIP 2000, 1019;; Schmittmann/Hantke, VR 2003, 335 (339).

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    3.1.2 Fälligkeit nach Insolvenzantragstellung und vor Verfahrenseröffnung
    Wird nach Ausspruch der Kündigung, aber vor Ablauf der Klagefrist Insolvenzantrag über das
    Vermögen des Arbeitgebers gestellt, sei es durch den Arbeitgeber selbst, sei es durch einen Dritten,
    kann der Arbeitnehmer sich grundsätzlich noch entscheiden, Kündigungsschutzklage zu erheben15.
    Kommt es dann zu einer Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf eine Abfindung, wird
    der Arbeitnehmer bemüht sein, sich diesen Abfindungsanspruch besichern zu lassen. Dies wäre aber
    nur möglich, wenn seitens des Insolvenzgerichts nur ein Gutachten angeordnet worden ist, nicht aber
    Sicherungsmaßnahmen, da anderenfalls der vorläufige Insolvenzverwalter zumindest seine
    Zustimmung erteilen müsste, was er aber im Regelfall im Hinblick auf die Gleichbehandlung der
    Gläubiger nicht tun wird. Selbst wenn er seine Zustimmung geben würde, so wäre diese nach
    Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfechtbar mit der Folge, dass der Arbeitnehmer aus der
    Sicherheit nicht mehr vorgehen könnte, bzw. das aus der Sicherheit Erlangte an die Masse
    herauszugeben hätte.
    Der Arbeitnehmer wird allerdings die Abfindungszahlung bzw. den Verwertungserlös aus einer ggf.
    gestellten Sicherheit nur dann endgültig seinem Vermögen einverleiben dürfen, wenn das
    Insolvenzverfahren später nicht eröffnet wird und damit auch keine Anfechtungsmöglichkeiten, hier
    insbesondere gemäß § 131 InsO entstehen.
    Inkongruenz liegt nämlich schon dann vor, wenn kein hinreichend konkretisierter Anspruch auf
    Bestellung der Sicherheit bestanden hat16. Allein das Bestehen der Forderung ergibt noch keinen
    Anspruch auf Sicherung17.
    Es bliebe dann dabei, dass nach erfolgter Anfechtung lediglich ein Anspruch der Rangklasse des § 38
    InsO entsteht.
    Keine andere Wertung ergibt sich, wenn das Arbeitsverhältnis im vorläufigen Insolvenzverfahren
    endet. Der Anspruch entsteht dann zwar, wird aber regelmäßig – zumindest bei angeordneten
    Sicherungsmaßnahmen – nicht ausgezahlt werden, weil der vorläufige Insolvenzverwalter dem nicht
    zustimmen wird.
    3.1.3 Entstehung des Anspruchs nach Verfahrenseröffnung
    Entsteht der Anspruch erst nach Verfahrenseröffnung, so stellt sich die Frage, ob eine sonstige
    Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 InsO vorliegt, die zu erheblich günstigeren
    Befriedigungsaussichten für den Arbeitnehmer führen würde. Masseverbindlichkeiten im Sinne von
    § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters
    begründet werden. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall, weil der Anspruch kraft Gesetzes ohne
    Beitrag des Insolvenzverwalters entsteht.
    Fraglich ist aber, ob eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorliegt, wenn es sich
    nämlich um Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen handelt, soweit deren Erfüllung zur
    Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen
    muss.
    Von § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO werden alle geldwerten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, also Lohn-

15 Häufig wird aber der Arbeitnehmer keine Kenntnis von dem Insolvenzantrag erlangen.
16 So Uhlenbruck/Hirte (Fn 11), § 131 Rn. 15. 17 So BGH, NJW 2000, 957 (958) = ZIP 2000, 82 (83); BGH, WM 1968, 683; BGH, WM 1959, 470.

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    und Gehalt, vermögenswirksame Leistungen, Spesenerstattungsansprüche und Auslösungen erfasst18 .
    Vorstehend genannte Ansprüche stehen im Synallagma, das heißt, sie stehen sich im Verhältnis
    Leistung und Gegenleistung gegenüber.
    Fraglich ist, ob auch die nunmehr gesetzlich fixierten Abfindungsansprüche als synallagmatische
    Ansprüche zu kennzeichnen sind.
    Dafür spricht, dass der Anspruch auf Abfindung denknotwendig voraussetzt, dass zuvor ein wirksames
    Arbeitsverhältnis bestanden hat. Darüber hinaus ist die Abfindung die Abgeltung des Ersatzanspruchs,
    der dem Arbeitnehmer dadurch entsteht, dass er auf den sozialen Besitzstand aus seinem –
    gekündigten – Arbeitsverhältnis verzichtet. Letztlich wird man die Abfindung auch unter dem
    Gesichtspunkt sehen, dass der Arbeitnehmer sich seinen Weiterbeschäftigungsanspruch „abkaufen“
    lässt und auf die Erhebung der Klage verzichtet.
    Diese Argumente vermögen jedoch nicht zur überzeugen. Zuvörderst steht die Überlegung, dass der
    Arbeitnehmer keine Gegenleistung für die Abfindung erbringt. Die Abfindung kann auch nicht als
    Gegenleistung für ein Unterlassen angesehen werden. Der Arbeitnehmer unterlässt zwar die
    Kündigungsschutzklage, dem steht aber keine vertragliche Leistung des Arbeitgebers gegenüber. Im
    Übrigen ist auch das Unterlassen der Kündigungsschutzklage kein Bestandteil des Arbeitsverhältnisses,
    für welches eine Gegenleistung vereinbart oder zu erwarten wäre. Vielmehr stellt der
    Abfindungsanspruch einen gesetzlichen Anspruch eigener Art dar19, der erst mit Ende des
    Arbeitsverhältnisses entsteht.
    3.2 Klagefrist
    Gestaltungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer ergeben sich, wenn der Insolvenzantrag vor Ablauf
    der Drei-Wochen-Frist gestellt wird und er hiervon rechtzeitig Kenntnis erlangt. Dabei sollte der
    Arbeitnehmer alle ihm zugänglichen Informationsquellen, insbesondere auch das Internet, nutzen20. In
    diesem Fall kann der Arbeitnehmer noch überlegen, ob er sich günstiger stellt, wenn er
    Kündigungsschutzklage erhebt und dadurch das Arbeitsverhältnis nicht beendet, sondern sich die
    Möglichkeit der Weiterbeschäftigung offen hält. Mit dieser Option könnte der Arbeitnehmer erreichen,
    dass er einen Anspruch der Rangklasse des § 55 InsO erlangt, nämlich dann, wenn das Gericht der
    Kündigungsschutzklage stattgibt und das Beschäftigungsverhältnis über die Verfahrenseröffnung
    hinaus andauert. Weiterhin könnten sich hier erhebliche Vorteile für den Arbeitnehmer ergeben, weil
    sich der Insolvenzgeldbezugszeitraum verlängern kann21.
    Insoweit ist aber für den Arbeitnehmer problematisch, dass er möglicherweise vom Insolvenzantrag
    nicht rechtzeitig erfährt, sei es, dass es sich um einen Eigenantrag des Arbeitgebers handelt, der den
    Arbeitnehmern verschwiegen wird, oder aber ein Fremdantrag vorliegt, der erst nach einiger Zeit
    gegenüber Dritten bekannt wird. Hier sei auf die o.a. Informationsmöglichkeiten verwiesen.
    Für den Arbeitgeber kann es möglicherweise auch vorteilhaft sein, den Arbeitnehmer über die
    Insolvenzreife im Unklaren zu lassen, beispielsweise wenn er eine Sanierung anstrebt und im Zuge
    dessen ohnehin einen Teil der Arbeitnehmer entlassen will. Da die Beendigung des

18 So Handbuch zur Insolvenz/Neukirchen, 18. Ergänzungslieferung 6/2003, Bonn, Juni 2003, Fach 6 Kapitel 3
Rdnr. 247.
19 S. Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177(182); Bader, NZA 2004, 65. 20 Z.B. über www.insolvenzen.nrw.de oder www.insolvenzbekanntmachungen.de 21 Gemäß § 183 Abs. 1 S. 1 SGB III erhält der Arbeitnehmer für die dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei
Monate des Arbeitsverhältnisses Insolvenzgeld.

  • Seite 7 -
    Arbeitsverhältnisses nicht von der tatsächlichen Zahlung der Abfindung abhängig ist, sondern bereits
    durch den Fristablauf der Kündigungsschutzklage erreicht wird, könnten hier erhebliche Ressourcen
    gespart werden.
    3.3 Kündigung durch den Arbeitgeber
    Schon im Zeitpunkt der Kündigungserklärung sollte der Arbeitnehmer sorgfältig sein weiteres Handeln
    überprüfen.
    Erfolgt die Kündigung durch den Arbeitgeber selbst, ist also zu diesem Zeitpunkt noch kein vorläufiger
    Insolvenzverwalter, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergegangen ist, bestellt, so
    muss er damit rechnen, dass sein Abfindungsanspruch lediglich in der Rangklasse des § 38 InsO
    entsteht.
    Erfolgt die Kündigung durch einen sogenannten „starken“ Insolvenzverwalter, so ist nach der
    vorstehenden Argumentation davon auszugehen, dass der Abfindungsanspruch in der Rangklasse des
    § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO entsteht, da hier die Handlung des vorläufigen Insolvenzverwalters zum
    Entstehen des Anspruchs führt.
    Erfolgt die Kündigung durch den Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung, so entsteht in jedem
    Fall eine Masseverbindlichkeit. Der Insolvenzverwalter wird in einem solchen Fall zu prüfen haben, ob
    er von sich aus auf § 1 a Abs. 1 Satz 2 KSchG hinweist und damit bei Nichtangreifen der Kündigung
    durch den Arbeitnehmer den gesetzlichen Abfindungsanspruch entstehen lässt. Dies wird
    möglicherweise für den Insolvenzverwalter dann zweckmäßig sein, wenn er eine Sanierungslösung
    anstrebt und im Zuge dessen Arbeitnehmer entlassen muss. Nur dann, wenn der gesamte Betrieb
    stillgelegt werden soll und damit Kündigungsschutzklagen voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg
    haben, wäre es für die Masse schonender, keine Abfindung anzubieten22.
    Da im Regelfall lediglich ein Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeordnet wird
    und dadurch die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gerade nicht auf den vorläufigen Verwalter
    übergeht, kann es zweckmäßig sein, dass der vorläufige Verwalter auf den Arbeitgeber (Schuldner) in
    geeigneter Weise einwirkt, damit dieser die Kündigungen unter Hinweis auf die Abfindungsmöglichkeit
    ausspricht. Gehen die gekündigten Arbeitnehmer darauf ein, so enden die Arbeitsverhältnisse
    ungeachtet der Zahlung der Abfindung, was zu einer erheblichen Entlastung der Masse führt.
    4 Gestaltungsmöglichkeiten
    Im Vorfeld von insolvenznahen Kündigungen wird es in der Regel zweckmäßig sein, möglichst wenig
    Masseschulden zu begründen und statt dessen Arbeitskräften bereits frühzeitig zu kündigen und
    diesen damit lediglich einen Abfindungsanspruch in der Rangklasse des § 38 InsO zu geben. Dabei ist
    aber abzuwägen, ob der Insolvenzverwalter nach Verfahrenseröffnung auf Grund der maximal
    dreimonatigen Kündigungsfrist eine frühere Beendigung des Arbeitsverhältnisses herbeiführen kann,
    was ggf. mit einer geringeren Belastung der Masse einhergeht. Der Insolvenzverwalter wird in seine
    Überlegungen aber auch einstellen, dass er im eröffneten Verfahren selbst zum Beklagten eines
    Kündigungsschutzprozesses wird und sich bei langjährigen Arbeitnehmern nur noch durch eine im

22 Dessen ungeachtet ist der Insolvenzverwalter selbst bei einer beabsichtigten Betriebsstilllegung nach der
Rechtsprechung des BAG (Urteil v. 22. Juli 2003 – I AZR 541/02, n.v.) verpflichtet, einen Interessenausgleich
gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG zu verhandeln.

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    Verhältnis eher hohe Abfindung wird lösen können.
    Gerade wenn sich die Sanierung oder Teilsanierung des Unternehmens abzeichnet, wird die
    vorhandene Liquidität dringend zur Fortführung des Unternehmens benötigt.
    Zur Einsparung von Liquidität gibt der Gesetzgeber nunmehr sowohl dem Arbeitgeber selbst als auch
    einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter ein probates Instrumentarium an die Hand, das
    insbesondere in Verbindung mit einem pre-packaged-plan23 zu positiven Wirkungen führen kann.
    Ein solcher pre-packaged-plan bedarf intensiver Vorbereitung, weil – wenn das
    Insolvenzplanverfahren Aussicht auf Erfolg haben soll – im Vorfeld sorgfältig abgewogen werden
    muss, unter welchen Voraussetzungen gegebenenfalls auch die Zustimmung einzelner
    Gläubigergruppen ersetzt werden kann, um sich nötigenfalls über widersprechende Gläubigergruppen
    mit Hilfe des Gerichts hinwegsetzen zu können und damit den Insolvenzplan in seiner Gesamtheit
    nicht zu gefährden.
    Es kann festgehalten werden, dass der Arbeitnehmer unabhängig von der im Einzelfall eingetretenen
    Konstellation die überwiegenden Risiken trägt. Es bleibt damit die Frage, ob dies alles der Intention
    des Gesetzgebers entspricht.
    Im Hinblick darauf, dass ausdrücklich von den einbringenden Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die
    Grünen formuliert worden ist, dass der Abfindungsanspruch erst mit Beendigung des
    Arbeitsverhältnisses entsteht, scheidet eine andere Auslegung aber aus, so dass dem Gesetzgeber –
    wenn er nunmehr die Folgen seines Handelns erkennt – keine andere Möglichkeit bleiben dürfte, als
    das Gesetz anzupassen.

23 Vgl. Uhlenbruck/Uhlenbruck (Fn. 11), § 22 Rn. 28

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